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Reportage

Das frühere Brauereigelände mit den neuen Google-Räumlichkeiten. Bild: Helena Wehrli

Wo Bytes das Bier abgelöst haben

Von: Urs Hardegger

07. Juli 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Hürlimannplatz.

«Fräulein, na es Hürlimaa!» war wahrscheinlich lange Zeit einer der häufigsten Sätze an Zürcher Stammtischen und Tresen. Das Hürlimann-Bier gehörte fast so zu Zürich wie der See und das Grossmünster. Wie eine Bombe schlug deshalb im September 1997 die Nachricht der Schliessung ein! Feldschlösschen hatte nach der «Fusion» die einfachste Methode gewählt, um nach der Aufhebung der Zollschranken und des Bierkartells die riesigen Überkapazitäten abzubauen: Man übernahm die Kunden, liess die Marke bestehen und stellte den Betrieb ein. 240 Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz.

Mitten in der Stadt blieb eine Industriebrache zurück. Diese wollte man unter Berücksichtigung städtebaulicher, privater und denkmalpflegerischer Aspekte einer gemischten Nutzung zuführen. Architektonisch ist dies leider nicht wirklich gelungen, zu uninspiriert wirken allzu viele Gebäude. Aus dem Hürlimann-Areal ist Google-Land geworden. Über 1500 neue Stellen schuf der IT-Gigant, der auf dem Areal den grössten Forschungs- und Entwicklungsstandort ausserhalb der USA errichtete. Und trotzdem: Der «Google-Campus» blieb eine Welt für sich, nur in Ansätzen ist es ihm gelungen, dem Areal neues Leben einzuhauchen.

Damit Hopfen und Malz nicht verloren gehen, brauchte es grosse Fachkenntnisse. Nicht nur der Gärprozess, auch die Lagerung stellten die Brauer lange Zeit vor grosse Probleme. Wollte man kein saures Bier trinken, musste dieses gekühlt werden. Deshalb war man gezwungen, im Winter von den gefrorenen Seen Eis für die Kühlung der Brauereikeller zu brechen. Eine kleine Revolution löste die Erfindung der Eismaschine aus. Dank dieser Investition im Jahre 1879 verschaffte sich die Brauerei Hürlimann einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Es gelang dem Unternehmen, die Produktion auf Kosten vieler kleiner und mittlerer Betriebe massiv auszuweiten.

Über fünf Generationen war der Betrieb in den Händen der «Hürlimänner». Ganz im Geiste des 19. Jahrhunderts thronte der Patron im Schloss Sihlberg und schaute auf das Fabrikgelände hinunter. Dort hatten die Brauereigesellen ihr Quartier, Kost und Logis inbegriffen. Nicht selten erhielten die Arbeiter einen Teil ihres Lohnes in Naturalien, natürlich vor allem in Bier. Als im Brauereigewerbe im Jahre 1896 einer der ersten Gesamtarbeitsverträge unterzeichnet wurde, verbesserte sich die Stellung der Brauer, und sie begannen, zusehends ein Standesbewusstsein zu entwickeln.

LKW statt Pferde

Bis in die Mitte der 1990er-Jahre waren die Fuhrwerke und Pferde der Brauerei Hürlimann eine feste Grösse im Stadtbild. Allerdings spielten sie zuletzt nur noch eine folkloristische Rolle, längst hatten Diesellastwagen die Aufgabe der Vierbeiner übernommen. Noch 70  Jahre zuvor hatte die Brauerei 56 Pferde und 70 Pferdefuhrwerke in Betrieb.

Ein Glanzstück des Hürlimann-Areals ist das Thermalbad und Spa des Architektenteams Althammer/Hochuli. In den verschachtelten Kellergewölben des ehemaligen Sudhauses badet man in riesigen, miteinander verbundenen Holzwannen, die an die Gärbottiche für das Bier erinnern. Die «Krone» setzt dem Ganzen ein 35 Grad warmes Freibad auf dem Dach des Sudhauses auf, wo die Badegäste im Sitzen oder Liegen die Sicht auf die Stadt geniessen können. Auch die Wohnüberbauung am Nordost­rand des Areals mit den sorgfältig gestalteten Aussenräumen der gleichen Architekten vermag zu überzeugen.

Zu Ehren der Bierbrauerdynastie wurde im Jahre 2004 der Hürlimannplatz eingeweiht, trapezförmig, mit Kopfsteinpflaster und Sitzbänken versehen. Fühlt man sich auf diesem kühl durchgestalteten Platz tatsächlich wohl? Dies soll jetzt nicht mehr mein Bier sein. Ich verschwinde nach der anstrengenden Geländebegehung lieber im Restaurant Juan Costa: «Äs Hürlimaa, bitte!»

Quellen:
Matthias Wiesmann: Bier und wir. Baden 2011. Jubiliäumsschrift: 150 Jahre Hürlimann-Bier 1836-1986. Zürich 1986.

Lesen Sie nach der Sommerpause am 26. August den Beitrag zum Lydia-Welti-Escher-Hof.

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