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Reportage

Rudi Bindella im Barriqueskeller von Vallocaia in Italien.

Zürcher Patron der Italianità und seine Liebe zu Italien

Von: Isabella Seemann

28. Oktober 2019

Wirtschaft: Von 7 auf 43 Restaurants: Mit Italianità und zwinglianischem Arbeitsethos baute Rudi Bindella (71) das Familienunternehmen zur grössten privaten Gastronomiegruppe der Schweiz aus. Für sein gastronomisches Lebenswerk erhielt er nun eine Auszeichnung.

Der Name Bindella steht hierzulande für Italianità. Wie kein anderer hat Rudi Bindella die italienische Tafelkultur etabliert. Was kaum jemand weiss: Die Ursprünge der Familiendynastie liegen in Spanien. Im 19. Jahrhundert wanderten seine Urgrosseltern ins Tessin ein, wo Grossvater Jean vor 110 Jahren mit dem Import für Chiantiweinen den Grundstein für die vielseitige Unternehmung legte. Nachdem die Familie nach Zürich gezogen war, eröffnete Vater Rudolf an der Luisenstrasse im Kreis 5 die erste Holzofenpizzeria der Stadt und nannte sie Santa Lucia. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen trat Rudi Bindella 1975 in das Familien-KMU mit sieben Restaurants ein und übernahm 1982 dessen Leitung.

 

Neben Weinbau und Weinhandel, Handwerksbetrieben und Immobilien stellt die Gastronomie das Hauptgeschäft der Bindella-Unternehmungen dar. Der promovierte Ökonom baute diesen Zweig auf heute 43 Restaurants aus – von Pizzerias bis Edelitaliener wie das nahe der Bahnhofstrasse gelegene Ornellaia, das neu mit 17 «Gault Millau»-Punkten und einem «Michelin»-Stern bewertet wurde. Die 1300 Mitarbeiter der grössten familiengeführten Gastronomiegruppe der Schweiz bewirten täglich 10 000 Gäste.

Mitte Oktober hat die Genusszeitschrift «Falstaff» anlässlich der Präsentation ihres «Beizenguide 2020» Rudi Bindella für sein gastronomisches Lebenswerk geehrt. Vor einem Jahr übergab der Vater von vier Söhnen und einer Tochter die operative Verantwortung für Gastronomie, Marketing und Human Resources an seinen Ältesten, Rudi Bindella jun. Der Senior teilt nun das Büro mit ihm und ist weiterhin für das operative Geschäft Wein, Immobilien und Handwerk zuständig. Zudem kümmert er sich um das familieneigene Weingut Vallocaia in der Toskana sowie um die Kunstsammlung. Auch mit 71 Jahren trifft Rudi Bindella noch immer täglich um 5 Uhr früh am Firmensitz an der Hönggerstrasse 115 in Wipkingen ein und trinkt mit dem Hauswart seinen ersten Ristretto. Einmal im Monat spielt er mit seiner Band Les Moby Dicks in einem seiner Restaurants – als Taktgeber am Schlagzeug.

"Ich hatte nie primär den Erfolg vor Augen"

Herr Bindella, eine Auszeichnung für ein Lebenswerk ist ja stets eine zweischneidige Sache. Kommt sie zu früh, oder ist Ihre Arbeit schon abgeschlossen?

Rudi Bindella: Diese Auszeichnung lässt mich dankbar zurückblicken auf meinen langen, erlebnisreichen und erfüllenden Weg, den ich gern weitergehen möchte – bis zum letzten Atemzug. Wie viel Zeit ich noch wirken darf, ist mir nicht so wichtig. Dagegen bedeutet es mir viel, mit anderen Menschen zusammenarbeiten und einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen zu dürfen.

Wie lief Ihr erstes Jahr, nachdem Sie einen Teil Ihres Lebenswerks in die Hände Ihres ältesten Sohnes gelegt hatten?

Auf den vereinbarten Termin zu meinem 70. Geburtstag habe ich meinem Sohn Rudi die operative Verantwortung überlassen für die Gastronomie, das Marketing und HR. Der Übergang verlief reibungslos, weil wir uns schon lange austauschen und alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam treffen. Geändert hat sich vor allem, dass jetzt die Verantwortung bei meinem Sohn Rudi liegt und ich ihm den dafür erforderlichen Freiraum gegeben habe. Er setzt sich sehr fleissig und engagiert ein, spürt den Markt sehr gut und pflegt einen herzlichen Umgang mit unseren Mitarbeitenden; das ist mir ein besonderes Anliegen. So fällt mir das Loslassen leicht. Ich freue mich jeden Tag auf alles, was wir gemeinsam verrichten. Die Zusammenarbeit zwischen Sohn und Vater gelingt – wie in unserem Falle –, wenn sich beide mit Respekt, Nachsicht, Verständnis und Toleranz begegnen. Ich betrachte das als Glücksfall.

Haben Sie noch konkrete Aufgaben in der Bindella-Gastronomie?

Ich begleite meinen Sohn weiterhin als Gesprächspartner. Regelmässig besprechen wir uns zu dritt mit der Geschäftsleitung. Ich bringe meine Ansichten und Empfehlungen ein – jedoch ohne Stimme. Das funktioniert sehr gut. Ich kümmere mich um die Pflege wichtiger Details zur Entlastung der operativen Führung, wie regelmässige Besuche unserer Lokale mit Meldung meiner Beobachtungen bezüglich Gastherzlichkeit, Qualität und Italianità, Pflege der Kunst in unseren Betrieben und der zahlreichen Details der Einrichtungen sowie persönliche Behandlung der Kundenzuschriften.

Zurück zu Ihren Anfängen. Haben Sie den Erfolg Ihrer italienischen Gastronomie von Beginn weg genau vor sich gesehen?

Nein! Ich hatte nie primär den Erfolg vor Augen, sondern die Freude an meiner Berufung, die väterliche Unternehmung weiterführen zu dürfen. Das wünschte ich mir seit meiner Kindheit und wollte früh im Geschäft mithelfen. Wenn diese Berufung leidenschaftlich gelebt wird, stellt sich sehr wahrscheinlich auch der Erfolg ein.

Was war Ihre beste gastronomische Entscheidung?

Dass wir uns auf Italien ausrichten und auf die italienische Tafelkultur konzentrieren. Wir wollten Italien in allen Ausprägungen kennen lernen und verstehen: das Land, die Regionen, die Geschichte, die Kulturen, die Handwerkskunst, die schöpferischen Talente, die Bedeutung der Familie und der Begegnung am Tisch. Da sind wir bis heute immer noch unterwegs. Je mehr wir uns für Italien interessieren, desto mehr entdecken wir auch den wunderbaren Süden dieses Landes – mit seiner vulkanischen Herzlichkeit. Vor allem die italienische Lebensfreude fasziniert uns. Sie möchten wir in unserem Land verbreiten, getragen von Emotionen, Leidenschaft und Begeisterung.

Welchen Anteil trägt der Ökonom und welchen der Gastronom in Ihnen zum Erfolg bei?

Ich bin dankbar, dass ich studieren durfte. Das Studium vermittelte mir vor allem das methodische Werkzeug. Wir lernten, eine Aufgabe systematisch anzugehen, Ursachen zu ergründen, Wirkungen aufzuzeigen, in Zusammenhängen beziehungsweise vernetzt zu denken und diese Methodik bei der Arbeit im Alltag anzuwenden. Eine Dissertation schreiben lässt sich vergleichen mit einem langen Marsch über einen grossen Berg.

Es gehört zum Leben eines Unternehmers, dass man immer wieder seelisch oder wirtschaftlich geprüft wird. Was war Ihr Tiefpunkt, und wie haben Sie ihn überwunden?

Der Heimgang meines lieben Vaters war meine schwerste Prüfung. Ich wuchs an seiner Seite auf. Er war sehr streng mit mir und gütig zugleich. Es verband uns eine innige, nicht immer einfach zu lebende Beziehung, die meine Zukunft prägte und mir wesentliche, unentbehrliche Werte mit auf den Weg gab. Loslassen? Meistens haben Eltern Mühe, die Kinder loszulassen. In meinem Falle schien es mir umgekehrt: Ich bekundete Mühe, meinen Vater loszulassen. Ich vermisse und verehre ihn bis zum heutigen Tag.

Haben Sie noch unerfüllte Wünsche?

Noch mehrere, zum Glück. Ich wünsche mir zum Beispiel, mehr Zeit mit meiner kleinen, reizenden achtjährigen Tochter Gioia verbringen zu dürfen. Und ich bin sicher, dass dieser Wunsch eines Tages in Erfüllung gehen wird.

Mit welcher Persönlichkeit der Geschichte würden Sie gern bei einer Flasche Ihrer Weine diskutieren?

Mit dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er war ein grossartiger Mensch, Politiker, Denker, Philosoph, Musiker, Visionär – ein wahrer Sozialdemokrat, der seiner Zeit voraus war. Zu meinem Wein dürfte er auch rauchen. Dazu würde er vielleicht Klavier spielen.

 

 

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