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Reportage

as Oktoberfest auf dem Bauschänzli findet dieses Jahr nicht statt. Gerade für Hotelbetriebe in der Altstadt wie das Hotel Platzhirsch ist dieser Wegfall schwer zu kompensieren. Hier logierten vor allem auch die Frauen, welche an diesem Grossanlass im Service arbeiten. Bilder: Keystone / JS / Maoz Sharabi

Zürich im Totalausfall

Von: Jan Strobel

28. Juli 2020

Die Street Parade, Konzerte im Hallenstadion, das Oktoberfest auf dem Bauschänzli oder der Weihnachtscircus Conelli: Wegen der Coronakrise müssen die meisten Grossveranstaltungen in der Stadt Zürich abgesagt werden. Für die Hotellerie und die Gastronomie ist das ein besonderer Schlag.

Auf dem Hirschenplatz im Herzen des Zürcher Niederdorfs kündigt sich dieser Sommerabend mediterran an. Es herrscht eine Lebenslust, welche fast vergessen lässt, dass sich der Schatten der Krise auch auf diese sonnigen Bar- und Restaurantterrassen gelegt hat. Mitte Mai war die Stadt den gebeutelten Wirten entgegengekommen. Sie durften ihre Aussenbereiche erweitern, und so präsentieren sich die Boulevardcafés in einer für Zürich fast ungewohnten Grosszügigkeit. Für die Gastronomen bedeutet das ein kurzes Aufatmen, bevor der Herbst kommt und mit ihm die düsteren Prognosen.

Die Krise ist auch in dieser sommerlichen Kulisse nicht übersehbar. Wo früher im Swiss Chuchi Restaurant Touristen aus Asien oder Amerika ihr Fondue oder Raclette genossen, herrscht an diesem Abend Leere. Die ausbleibenden Gäste verweisen auf einen Faktor, der sich besonders in der Altstadt bemerkbar macht. Denn Bars und Restaurants sind das eine; das andere sind die Hotels, die zum Teil mit massiven Einbrüchen bei den Übernachtungen zu kämpfen haben. Denn nicht nur die auswärtigen Touristen fehlen. Auch der Businesstourismus ist eingebrochen. Das Homeoffice hat Geschäftsreisen abgelöst.

Im Mai 2020 betrug die Zahl der Hotelübernachtungen in der Stadt Zürich 23 454. Gegenüber dem Mai 2019 waren das 93,3 Prozent weniger Übernachtungen. Einer von vier Gästen stammte aus dem Ausland. Gegenüber dem Mai 2019 sind ihre Übernachtungen um 97,4 Prozent gesunken. Übernachtungen von Personen aus der Schweiz sind um 81,5 Prozent gesunken.

Sigi Gübeli führt am Hirschenplatz den Platzhirsch mit Hotel und Bar und rechnet vor: «Unsere aktuelle Auslastung beträgt im Hotel derzeit 15 Prozent. Vor der Krise lag sie im selben Zeitraum während des Sommers bei 70 bis 80 Prozent. Insgesamt fallen damit mehrere Logiernächte in unserem Hotel einfach weg. Dieser Verlust ist ungeheuer schwierig aufzufangen. Der lokale Markt, etwa durch Schweizer Gäste, kann das nicht  kompensieren, umso mehr, als Schweizer derzeit lieber in die Berge oder ins Tessin fahren, als Städtereisen zu unternehmen.» Um den Kostendruck etwas zu mindern, musste Sigi Gübeli notgedrungen zwei Mitarbeiter entlassen.

Leere Hotelzimmer
Was die Situation für die Hotelmanagerin zusätzlich erschwert, sind die zahlreichen abgesagten Grossveranstaltungen in der Stadt Zürich. Die Street Parade findet nicht statt, ebenso das Oktoberfest auf dem Bauschänzli  oder der Weihnachtscircus Conelli. Dazukommen die ebenfalls abgesagten Konzerte im Hallenstadion. Und ob die Weihnachtsmärkte im Niederdorf, auf dem Sechseläutenplatz oder im Hauptbahnhof durchgeführt werden, ist noch völlig unsicher. Der Entscheid darüber soll im Lauf des Augusts fallen. Dasselbe gilt für den Silvesterzauber, der in der üblichen Form nicht stattfinden kann. Gemäss Zürich Tourismus ist eine alternative Veranstaltung allerdings definitiv in Planung.

Besonders schmerzt Sigi Gübeli die Absage des Oktoberfests auf dem Bauschänzli, mit dem sie seit Jahren eng verbunden ist. «Der Anlass hätte dieses Jahr sein 25-Jahr-Jubiläum feiern können. Das Oktoberfest ist für unser Hotel ein festes Standbein. Während der letzten zehn Jahre logierten zum Beispiel die Frauen, die auf dem Bauschänzli im Service arbeiteten, immer im Platzhirsch. Diese Absagen treffen einen natürlich emotional. Auf der anderen Seite müssen wir die Situation nüchtern betrachten. Angesichts der Lage sind die Entscheide, Veranstaltungen nicht durchzuführen, absolut vernünftig. Wir Gastronomen und Hotelbetreiber sitzen alle im gleichen Boot. Wir sind alle betroffen und müssen neue Wege finden.»

Im gleichen Boot sitzen zum Beispiel die Betreiber des Hotels Adler Zürich gleich gegenüber, zu dem auch das Swiss Chuchi Restaurant gehört. «Wir sind seit dem 1. Juli wieder geöffnet und haben zurzeit einen Drittel des Umsatzes im Vergleich zum Sommer 2019», sagt Tessy Bloch, Resident Managerin des Hotels Adler Zürich. «Unsere Gästestruktur im Hotel Adler besteht zu 50 Prozent aus Businessgästen und zu 50 Prozent aus Touristen. Natürlich konnten wir in der Vergangenheit auch von den Grossveranstaltungen profitieren, jedoch ist dies nicht unser Kerngeschäft», macht Tessy Bloch deutlich.

Etwas anders sieht es mit dem Swiss Chuchi Restaurant, dem Touristen-Magnet im Niederdorf, aus. «Das Swiss Chuchi Restaurant wurde vor der Coronakrise immer sehr gut frequentiert, vor allem von Touristen aus den USA und Asien, die jetzt ausbleiben. Die Gäste ohne Reservation sind abends jeweils Schlange gestanden, um einen Tisch zugeteilt zu bekommen. Es ist natürlich unbestritten, dass bei Grossveranstaltungen noch mehr los war und viele Passanten auch in der Altstadt unterwegs waren.»

Viele der Mitarbeiter seien immer noch 100 Prozent in Kurzarbeit, so Tessy Bloch. «Wir müssen sehr auf die Personalplanung achten, um die Tageskosten decken zu können und keinen Verlust zu verursachen. Das Personal, das jetzt im Einsatz ist, wurde intensiv gemäss den Vorsichtsmassnahmen des Bundesamts für Gesundheit geschult.»

Dass die meisten Grossveranstaltungen dieses Jahr ausbleiben und sich die Stadt Zürich diesbezüglich gleichsam mit einem Totalausfall konfrontiert sieht, mag  Kritikern, die in der Vergangenheit gerne eine grassierende «Eventitis» beklagten, entgegenkommen; wie sehr allerdings solche Anlässe der lokalen Wirtschaft zugutekommen, zeigen zum Beispiel die Zahlen zur Street Parade, welche letztes Jahr einen Umsatz von über 100 Millionen Franken erzielte. Die nach Zürich strömenden Menschenscharen bescherten gerade den Restaurants und Hotels Rekordumsätze.

Gegen den Stillstand
«Für den Zürcher Tourismus sind die Absagen unschön», bestätigt auch Ueli Heer von Zürich Tourismus die Lage. «Gerade der Städtetourismus mit den vielen ausländischen Gästen aus Übersee, die derzeit nicht kommen, und mit einem grossen Anteil an Businessgästen, die derzeit ebenfalls nicht kommen, leidet die Stadt Zürich besonders. Da helfen Absagen der Veranstaltungen im Herbst und im Winter nicht, und es werden dadurch einige Logiernächte verlorengehen.»

Um die Situation etwas abzufedern, lancierte Zürich Tourismus im Juni die Aktion «Zürich Re-Opening». Auf der Plattform konnten unter anderem Hotelzimmer in der Stadt Zürich und in der Region zu einem Spezialpreis gebucht werden. «Die Re-Opening-Kampagne ist sehr gut angekommen», sagt Ueli Heer. «Sie war und ist ein Weckruf, dass das touristische Leben wieder möglich ist. Aktuell läuft die Sommerkampagne. Als Erstes wurde mit einem fahrenden ‘Züvenir-Shop’ in allen Landesteilen für Verwunderung gesorgt. So wurden die Erinnerungsstücke mit Designs von ‘Zübiza’, ‘Zü-Tropez’, ‘Züstanbul’, ‘Zükjavik’ und ‘Züsterdam’ unter die Leute gebracht. Nun folgenden die Plakate an hoch frequentierten Feriendestinationen.»

Sigi Gübeli vom Platzhirsch ist es wichtig, nicht in Pessimismus zu verfallen, sondern auch die positiven Herausforderungen der gegenwärtigen Krise nicht aus dem Blick zu verlieren. «Die Hotellerie und die Gastronomie müssen sich jetzt bewegen, das ist unglaublich spannend», sagt sie.  «Im Zentrum steht immer der Gast. Wir müssen uns vor allem fragen, was ihm Freude bereitet. In Zeiten von Corona stellen wir uns immer wieder die Frage, was möglich ist, um diesem Credo gerecht zu werden.» Die Krise fordere alle Seiten dazu auf, kreativ und flexibler zu werden, Alternativen zu finden, neue Konzepte und Angebote auszuprobieren. «Wer jetzt stehenbleibt, der hat über kurz oder lang verloren.»

Wie das konkret aussieht, zeigt sich im Hotel Platzhirsch zum Beispiel in digitalisierten Konzepten und Innovationen. So ist in der Bar des Hotels die klassische Getränkekarte verschwunden. Stattdessen wählen die Gäste ihren Cocktail oder den Wein mittels eines QR-Codes übers Smartphone. Die Methode hat sich bereits in zahlreichen Zürcher Gastrobetrieben etabliert. Digitalisiert geht es im Platzhirsch auch an der Hotelrezeption zu. Seit Montag steht zusätzlich ein Check-In-Automat im Einsatz, der es dem Gast, der das wünscht, ermöglicht, rund um die Uhr selbstständig im Hotel einzuchecken.

Tessy Bloch vom Hotel Adler Zürich sieht ebenfalls durchaus positive Tendenzen. «Wir sind froh, dass im letzten Jahr alle unsere Zimmer klimatisiert wurden, was unser Hotel gegenüber einigen Mitbewerbern im Zürcher Niederdorf abhebt», sagt sie. «Zudem entdecken wieder viele Einheimische unser Lokal, speziell die Terrasse im malerischen Niederdorf ist sehr beliebt. Am Mittag servieren wir ein preiswertes Menü, was auch viele Gäste aus der Umgebung schätzen.»

Und auch bei den Veranstaltungen gibt es einige kleine Lichtblicke, auch wenn die nur einem Tropfen auf den heissen Stein gleichkommen. «Wir sind froh, dass wenigstens das Kulinarik-Festival Food Zurich gemäss jetzigem Stand stattfinden kann», so Ueli Heer von Zürich Tourismus. Auch das Zurich Film Festival mit seiner internationalen Ausstrahlung wird, wenn auch in angepasster Form, über die Bühne gehen.

Sollte der Weihnachtsmarkt im Niederdorf abgesagt werden, hat sich Sigi Gübeli jedenfalls bereits ein bestechendes Alternativkonzept einfallen lassen. Ihr Hotel möchte sie dann in ein eigentliches «Weihnachtshaus» mitten in der Zürcher Altstadt verwandeln. An der Hotelrezeption checken gerade zwei Gäste aus Deutschland ein – auch das ist ein kleiner Lichtblick an diesem Sommerabend am Hirschenplatz.

Das Hotel Adler Zürich, zu dem auch das Swiss Chuchi Restaurant im Niederdorf gehört, ist derzeit nur zu einem Drittel ausgelastet.

Im Zug der Krise setzt Sigi Gübeli vom Hotel Platzhirsch auf Innovationen: In der Rezeption können Gäste an einem Computer selber einchecken.

 

 

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