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Reportage

Blick auf die kurze Oskar-Bider-Strasse im Milchbuckquartier. Bild: Helena Wehrli

Zwischen Bider und Biederkeit

Von: Urs Hardegger

30. September 2014

Jede Strasse in Zürich hat ihre Geschichte. Das «Tagblatt»

erzählt in einer Serie jede zweite Woche so eine Story. Heute: Oskar-Bider-Strasse.

«Der Bider!», «Der Bider!» jubelten die Menschen, wenn in den Jahren zwischen 1913 und 1919 irgendwo in der Schweiz eine der fliegenden Kisten am Himmel erschien. Zwar gab es damals auch andere «Aviatiker», doch niemand war so populär wie Oskar Bider (1891­–1919), das Interesse galt ihm, dem «Kavalleristen der Lüfte».

Kurz war sein Leben, kurz ist die Strasse, die zwischen Schaffhauser- und Bucheggplatz nach ihm benannt ist. Nichts deutet an dieser ruhigen Strasse auf das unruhige Leben des Namensgebers hin. Sauber geschnürt stehen die Zeitungsbündel auf dem Trottoir, die Vorgärten der Reihenhäuser sind mit den genormten grünen und grauen Entsorgungscontainern bestückt. Ein älterer Herr im Block Nr. 9 tritt auf den Balkon, giesst die Geranien, beobachtet einen Moment die Kinder, die in der Einfahrt Fussball spielen, und verschwindet bald wieder in der Wohnung.

Grenzen überschreiten, die Welt entdecken, davon träumte in Langenbruck der Sohn eines Tuchhändlers. Nach dem frühen Tod der Eltern liess er sich nach Übersee einschiffen und arbeitete im Nordostteil Argentiniens als Farmer. Ernüchtert kehrte er bereits ein Jahr später nach Europa zurück. Auf der Erde war seine Sehnsucht nicht zu stillen, den Himmel wollte er erobern. Viel Unkraut hat sich angesammelt. Mit Hacke und Rechen versucht der Abwart der angrenzenden Genossenschaftssiedlung die Rabatten in Ordnung zu halten. Jeder im Quartier kennt ihn, je nach Jahreszeit mäht er den Rasen, schneidet die Bäume oder schaufelt Schnee. Manchmal nimmt er sich Zeit für ein Schwätzchen, über das Wetter, die Arbeit, ein paar Neuigkeiten aus dem Quartier.

Pyrenäen und Alpen überflogen

Beim französischen Konstrukteur und Flieger Louis Blériot in Pau am Fusse der Pyrenäen liess sich Bider in die Fliegerei einführen. «Ich bin zum Aviatiker geschaffen», beruhigte er in einem Brief seinen besorgten Grossvater. Von nun an gab es kein Halten mehr. Bereits zwei Monate nach seiner kurzen Ausbildung wagte er den Flug über die Pyrenäen. In wenigen Monaten hatte sich der Langenbrucker in die Herzen der Schweizer und in den Olymp der internationalen Fliegergilde geflogen. Tausende strömten zu den Flugtagen, um ihm zuzujubeln. Nach der Erstüberquerung der Alpen, am 13. Juli 1913, kannte die Begeisterung der Bevölkerung keine Grenzen mehr. Die Fluggeräte wurden zum Symbol des Fortschritts, Biders Aussprüche wie «Mut heisst Angst haben und es doch tun!» machten ihn zum Nationalhelden.

Verkehrsberuhigung ist für die Anwohner eine tolle Sache. Tempo 30 und Schwellen verwandelten die Quartierstrassen wieder zu Orten der Begegnung, begrenzten die individuelle Freiheit des Einzelnen. Eine ältere Frau am Gehstock absolviert ihren täglichen Spaziergang, ein paar Kinder trödeln auf dem Heimweg von der Schule die Strasse entlang, ein Motorradfahrer kehrt von der Arbeit zurück.

Wie alle Schweizer Aviatiker wurde Bider nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit seinem Flugapparat nach Beundenfeld bei Bern einberufen. Die Schweizer Luftwaffe war geboren. Oskar Bider, ihr erster Ausbildungschef, stieg bis zum Kriegsende zum Oberleutnant auf. Zum Verhängnis wurde dem Draufgänger ein fröhlicher Abend mit Kollegen auf dem Flughafen Dübendorf. Der Alkohol floss in Strömen, der Übermut stieg, eine kleine Akrotbatikdemonstration wollte er seinen Kameraden nach der durchzechten Nacht bieten. Sein Jagdeinsitzer Nieuport 21 geriet nur wenige Minuten nach dem Start ins Trudeln und bohrte sich auf dem Fluggelände in den Boden. «Durch ein kurzes persönliches Versagen» habe «der vorbildliche Freund und Kamerad sein junges Leben verloren», versuchte sein Schüler und späterer Divisionär Rhiner der geschockten Bevölkerung das tragische Ende des Schweizer Volkshelden zu erklären.

Irgendwo zwischen Bider und Biederkeit ist die Strasse angesiedelt, irgendwo zwischen Träumen und Beständigkeit, zwischen Höhenflügen und Abstürzen findet das individuelle Leben statt. Dies hat sich seit Oskar Bider nicht geändert.

Quellen:
Jenny, Hans A: Schweizer Originale. Porträts helvetischer Individuen. Rorschach 1993.
Schwarz, Heidi & Eugen: Oskar Bider 1891–1919. Langenbruck 1991.

Lesen Sie am 15. Oktober den Beitrag über den Bürkliplatz.

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