mobile Navigation

Stadtratskolumne

André Odermatt

Hinter den siebzig Gleisen

Auf meinem Weg zur Arbeit fahre ich mit dem Velo jeweils am Hauptbahnhof vorbei. Das markante Gebäude im Herzen unserer Stadt ist ein Ort der Bewegung, der Ankunft und des Abschieds. Hier atmet Zürich grossstädtisches Flair; hier zeigt sich die Schweiz von ihrer urbanen Seite. Dazu gehört die permanente Veränderung: In einer Stadt ist die einzige Konstante der ständige Wandel. Das gilt insbesondere auch für den Bahnhof als städtischen Knotenpunkt.

Zeichnete Kurt Früh in seinem Film «Hinter den sieben Gleisen» aus den 1950er-Jahren noch ein romantisches Bild des Bahnhofs mit viel Raum für soziale Nischen, liegt der Zürcher HB heute eher hinter siebzig Gleisen. 400 000 Leute steigen hier täglich ein und aus, im Bahnhof finden sie über 130 Geschäfte, wo man an 365 Tagen im Jahr bis spät­abends einkaufen kann. Der Aufbau dieser Rail-City hat aus dem Bahnhof eine Dauerbaustelle gemacht, die sich bis tief in den Untergrund erstreckt: 16 Meter unter den Gleisen entsteht der neue Bahnhof Löwenstrasse, der Mitte Juni eröffnet wird – wenn die Durchmesserlinie in Betrieb geht.

Dann werden auch die Abschrankungen, Container und Gerüste verschwinden, die jahrelang den Blick auf den HB versperrt haben. Bis es so weit ist, kann man dabei zuschauen, wie das imposante Gebäude mit Baujahr 1847 nach und nach wieder zu altem Glanz zurückfindet. Diese langsame, schrittweise Enthüllung ist spannend, weil sie neue, alte Perspektiven freigibt. Komme ich jetzt am HB vorbei, entstehen in meinem Kopf wieder neue Bilder und Ideen rund um den Bahnhof. Auch Sie können diese faszinierende Metamorphose beobachten und dabei eigene Visionen entwickeln.

Eine Oase der Ruhe wird der HB aber sicher nie. Kaum können die Bauteams die Installationen der Durchmesserlinie abbrechen, müssen sie am anderen Ende eine neue Baustelle eröffnen: jene für den Rückbau der provisorischen Gleise 51 bis 54. Der Bahnhof zeigt uns also auch in Zukunft, dass sich eine Stadt wie Zürich stets im Schnellzugstempo wandelt.

zurück zu Stadtratskolumne

Artikel bewerten

Leserkommentare

Keine Kommentare

Für diesen Eintrag werden keine Kommentare mehr angenommen