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Stadtratskolumne

Daniel Leupi

Schmieren

Neulich an einem Samstagnachmittag. Ein Anlass der besonderen Art findet statt. Rund vierzig Personen sitzen in einem Saal, lauter Politikerinnen und Politiker. Trotzdem ist es mucksmäuschenstill, und alle verfolgen das gleiche Ziel! Wann gibt es das schon? Doch noch viel absonderlichere Dinge lassen sich beobachten! Denn wann kommt es schon vor, dass eine SP-Gemeinderätin zusammen mit einem FDP-Gemeinderat alles daransetzt, zwei ihrer Genossen auszustechen? Wann freut sich ein Bürgerlicher uneingeschränkt, dass sein Gegenüber das Geschehen monopolisiert? Wann weiss ein Fraktionspräsident, dass er gar nicht erst versuchen muss, die Fraktionsdisziplin durchzusetzen? Wann zählt das Blatt, das man in den Händen hält, mehr als das Parteiprogramm? Wann sprechen Grünliberale und Grüne in den Pausen nicht über Velowege, sondern darüber, wer wem was geschmiert hat – oder eben nicht?

Dieser Anlass, geschätzte Leserinnen und Leser, ist keiner Fantasie entsprungen, sondern eine jährlich stattfindende Realität. Des Rätsels Lösung: Es handelt sich um den «Gemeinderatsjass», der heuer seine zehnte Auflage erlebte. Aktive und ehemalige Mitglieder des Parlaments treffen sich und freuen sich auf einen gemütlichen Nachmittag. Etwas Anspannung liegt aber doch in der Luft, denn schliesslich wollen ja alle gewinnen. So lässt sich sehr gut eine Aussage von Plato beobachten: «Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennen lernen als in einem Gespräch in einem Jahr.» Die Parteizugehörigkeit spielt keine Rolle, sondern nur das Ziel, zusammen mit dem Gegenüber, egal, welcher Partei er oder sie angehört, möglichst viele der 157 Punkte zu ergattern. Ein gemeinsames Ziel vor Augen und weniger die Parteidoktrin: Das würde ich mir auch die anderen 364 Tage öfter wünschen.

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