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Stadtratskolumne

Spiegel – Wahrheit oder Täuschung?

Von: Corine Mauch

4000 Jahre liegen zwischen dem ältesten und dem jüngsten Objekt in der Ausstellung «Spiegel – Der Mensch im Widerschein», die noch bis zum 22. September im Museum Rietberg läuft. Der eine Gegenstand, ein Spiegel aus Bronze, stammt aus dem alten Ägypten. Der andere, ein digitaler Spiegel, wurde neulich in Shanghai programmiert und produziert. Der ägyptische Spiegel besitzt eine Inschrift, die besagt, dass ein Vater diesen Spiegel für seine «geliebte Tochter zur Betrachtung des Gesichts» gemacht hat. Mich fasziniert die Vorstellung, dass vor 4000 Jahren sich in genau diesem Spiegel eine junge Frau in die Augen geschaut hat. Was für ein Erlebnis muss dies gewesen sein in einer Zeit, als Spiegel noch höchst selten und kostbar waren.

Schaue ich hingegen in den Digitalspiegel des chinesischen Künstlers Li Wei von 2019, passiert etwas Seltsames: Er verändert mein Gesicht. Es wird schmaler, die Haut wirkt makellos glatt und hell, und meine Augen werden grösser. Dieser Zauberspiegel will uns «schöner» und «jünger» machen. Zwar erkenne ich mich im digitalen Spiegel, aber was ich sehe, ist eine Fälschung. Ist dies die Zukunft der Spiegel? Werden wir unser Spiegelbild nach unserem Gusto verändern können? Unser Alter auf einer Skala einstellen – 20 Jahre, 60 oder 100 Jahre?

Die Ausstellung zeigt, dass es in vielen Kulturen auch die Vorstellung eines inneren Spiegels gibt. In ihn schauen wir, wenn wir unser Selbst erforschen und über uns nachdenken. Dazu brauchen wir keinen physischen Spiegel, sondern vielmehr Ruhe und Musse – Zeit zur Reflexion.

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