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Stadtratskolumne

Vogelstimmen

Von: Gerold Lauber

Früher war klar: «Der frühe Vogel fängt den Wurm.» Man konnte mit der Vorgabe umgehen oder hungrig in den Tag starten. Heute? Das Gelingen eines Tages entscheidet sich nicht mehr im Morgengrauen. Twitter (Gezwitscher) garantiert den 24h-Betrieb. Jeder kann einstimmen in den Chor der Zwitscherer, jederzeit und ohne Zensur. Einzige Vorgabe: 140 Zeichen, anspruchsvoller Telegrammstil also. Millionen dieser mit Inbrunst vorgetragenen Tweets verhallen ungehört. Hin und wieder aber reagiert die vernetzte Vogelwelt auf das Auftauchen eines Räubers; wie wenn ein Falke über einem Gebüsch voller Sperlinge kreist. Der aufgebrachte, verunsicherte oder verängstigte Schwarm protestiert lauthals – der sogenannte Shitstorm. Der amerikanische President-elect hat nun Twitter für sich als Regierungs-, Strategieentwicklungs- und Kommunikations­instrument entdeckt. 140 Zeichen, um Meryl Streep zu beleidigen, Chinas Präsidenten Xi Jinping zu verärgern, mit Putin zu flittern, von Nazi Germany zu sprechen, Ford am Bau von Fabriken in Mexiko zu hindern, Mauern am Rio Grande in Auftrag zu geben, festzustellen, dass der F35-Tarnkappenbomber viel zu teuer sei, alle US-Geheim- und Sicherheitsdienste und die Medien gegen sich aufzubringen, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und – und das alles vor Amtsantritt und auf 2 Zeilen. Und er schätzt es, wenn CEOs von Grossunternehmen im Vestibül des Trump Tower den Kotau machen, als Reaktion auf einen seiner Tweets. Sein Gezwitscher bei Sonnenuntergang hört sich oft dann wieder anders an. Er will nochmals (oder erstmals) nachdenken über Getwittertes, sich informieren lassen, Obamacare hätte auch gute Seiten und Herr Putin mische doch mehr mit als angenommen … Die Welt wird sich auf seinen Stil wohl einstellen müssen. Ob der Falke wohl je der warnenden Vogelchorgemeinschaft sein Ohr schenken wird? Er wirds twittern.

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