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Stadtratskolumne

Vom Stadtrat zum Obdachlosen

Von: Stadtrat Daniel Leupi, Finanzdepartement

Nach einer Stadtratssitzung begab ich mich letzthin wie gewohnt zum Veloständer vor dem Stadthaus, um zur nächsten Sitzung loszufahren. Während ich die Tasche aufs Velo klemmte, den Helm anzog und das Schloss öffnete, betrachtete mich eine ältere Frau aus ein paar Metern Distanz. Sie umrundete und musterte mich mit prüfendem Blick. Schliesslich kam sie näher und fragte, ob ich Stadtrat sei. Als ich das bejahte, war sie sichtbar erleichtert.

Sie erklärte mir, dass sie bereits 83 Jahre alt (was man ihr nicht ansah) und sehr froh sei, dass ihr Gedächtnis noch richtig funktioniere. Meinen Namen wisse sie zwar nicht, aber auf das Gesichtsgedächtnis könne sie sich offenbar noch gut verlassen. Das stimme sie froh.

Damit war die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Sie eröffnete mir dann, dass sie etwas unsicher gewesen sei, weil ich eine Isomatte bei mir trug. Ich hatte mich am Morgen vor der Stadtratssitzung mit ein paar Stadtratsmitgliedern zu einer gemeinsamen Pilates-Übungsstunde getroffen und trug deshalb tatsächlich eine solche Matte unter dem Arm. Vor dem Stadthaus, so fuhr sie fort, hielten sich ab und zu Obdachlose auf, und deshalb sei sie nicht sicher gewesen, ob ich eventuell nicht doch eher ein Obdachloser sei. Innerlich konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen und erklärte der Dame den Zusammenhang. Wir verabschiedeten uns freundlich.

Wow?! Es braucht nur ein Accessoire und schon wird man vom Stadtrat zum Obdachlosen. So schnell kanns gehen – wenn man sich von Äusserlichkeiten zu Vorurteilen hinreissen lässt …

PS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Regierungsrat die Sans-Papiers regularisieren sollte.

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