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Album

Auf einem schwarzen Schimmel

Von: Werner Sieg

13. Oktober 2015

Fast zufällig, wegen des sanften Drängens eines Freundes, las ich vor kurzem erstmals Werke von Gerhard Meier. Der Schriftsteller aus Niederbipp, das bei ihm Amrain heisst, war mir zwar vom Namen her bekannt, gelesen aber hatte ich ihn nie. Wieso, weiss ich nicht. Ein Autor, der sein Leben fast ausschliesslich in Niederbipp verbracht hat, war mir wohl einfach zu helvetisch provinziell. Was für ein dummes Vorurteil!

Dank Büchern entdeckt man fremde Welten. Meiers Welt ist umfassend, eigenständig, vollkommen – und ganz anders als meine eigene. Aber wenn ich in diese Texte eintauche, kann ich mich ihrem Sog kaum entziehen. Geschichtliche, politische Ereignisse spielen bei Meier kaum eine Rolle. Alles dreht sich allein um die ihn umgebende Natur, um die Kunstwerke, die ihn geprägt haben, um seine Gefühle und Erkenntnisse. Schreibend hält er seine Welt, sein Amrain, für alle Zeit fest. Von zentraler Bedeutung ist dabei Dorli, seine Frau, mit der er 60 Jahre lang zusammenlebte. Ihren Tod schildert er so: «Dorli und ich machten noch kleine Spaziergänge. Die Herbstzeitlosen stellten sich ein, die Schwalben zogen davon. Die Novembersonne leuchtete hier einen Kirschbaum an, dort zwei, drei Birken. Dann kam der Schnee. Einmal blieb Dorli an ihrem Wägelchen stehn, schaute zum Berg hinauf, zur Lehnfluh, hinüber zum Gehöft. Am Morgen danach – es war der 17. Januar 1997 – rief ich Dorli bei ihrem Namen und – alles blieb still.» Dorli, die Pflanzen, die Tiere, der Berg, der Tod. So ist die Welt, Meiers Welt.

Kunst sei, auf einem schwarzen Schimmel zu reiten, sagt Gerhard Meier. Ja, und Kunst ist es auch, wenn Niederbipp für einen plötzlich zum Universum wird.

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