Gut zu wissen
Ein KP-Chef, ein Kreml-Kritiker und rote Nelken aus Zürich
Von: Jan Strobel
Kalter Krieg: Zürich war Schauplatz eines Gefangenentauschs, der mächtig am Bild der Sowjets kratzte.
Das Grüppchen von Zürcher Kommunisten hatte extra einen Strauss roter Nelken mit an den Flughafen gebracht. Das Geschenk galt einem chilenischen Genossen, Luis Corvalan, ehemaliger KP-Chef. Er war jahrelang in den Kerkern von Diktator Pinochet verschwunden. An diesem Dezembertag 1976 sollte er über Zürich in die Sowjetunion ausfliegen.
Die Freilassung Corvalans war Teil eines Deals, den das faschistische Chile mit dem Erzfeind UdSSR ausgehandelt hatte. In Zürich landete nämlich gleichzeitig der sowjetische Dissident Wladimir Bukowski. Es war ein Tausch, der in der Geschichte des Kalten Krieges seinesgleichen suchte.
Beide Gefangenen waren für die jeweiligen Machthaber zu einer Last geworden, die es loszuwerden galt. Das Pinochet-Regime sah in Luis Corvalan die letzte Symbolfigur der gestürzten sozialistischen Regierung. Westliche Parlamentarier und selbst die Uno forderten seine Freilassung. Märtyrer konnte Pinochet nicht gebrauchen. Wladimir Bukowski wiederum hatte mit seiner Schrift «Opposition - eine Geisteskrankheit in der Sowjetunion?» den Kreml herausgefordert. Zwölf Jahre Lagerhaft waren die Strafe dafür. Die Proteste aus dem Westen kratzten am Bild der Supermacht. Der Zürcher Handel wurde für die Sowjets allerdings zu einer peinlichen Niederlage. Zum ersten Mal musste die Führung offiziell eingestehen, dass sie Menschen aus politischen Gründen gefangen hält. Pinochet durfte triumphieren.
Die Zürcher Kommunisten bekamen Luis Corvalan am Flughafen übrigens nie zu Gesicht. Die Blumen schickten sie mit dem Flugzeug nach Moskau.
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