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Interview

Nach rund 20 Jahren an der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) hat Professor Heinz Böker zum Abschied das Buch «Burghölzli» herausgegeben. Bild: Nandor Nagy

Burghölzli: Eine Heimat auf Zeit

Von: Clarissa Rohrbach

28. Februar 2017

Heinz Böker hat mit dem Buch «Burghölzli» eine Liebeserklärung an die Psychiatrische Uniklinik (PUK) veröffentlicht. Darin erzählen Ex-Patienten von einem Ort grosser Menschlichkeit.

«Burghölzli» ist ein Begriff, den die Leute fürchten. Wieso?
Heinz Böker: Viele haben Angst vor psychischen Erkrankungen, weil das bedeutet, die Kontrolle zu verlieren, nicht mehr dazuzugehören. Sobald sie das Wort «Burghölzli» hören, gehen sie auf Distanz. Bilder von unmenschlichen Behandlungen sind weit verbreitet. Man stellt sich schreiende Menschen vor, deren Gehirne durch Medikamente und Elektrokonvulsionen geschädigt werden. Solche Klischees sind falsch, aber hartnäckig.

Mit Ihrem Buch wollen Sie diese Ängste abbauen. Ist Ihnen das gelungen?
Ich hoffe, dass das Buch dazu beiträgt, die menschliche Seite des Burghölzli und seine Ästhetik zu zeigen. Bereits Eugen Bleuler, der 1898 Direktor wurde, vertrat die Idee einer Psychiatrie, die auch das Leben des Einzelnen einbezieht. Damit wurde die weltweit ausstrahlende Kultur einer «Psychodynamischen Psychiatrie» begründet. Die Berichte von ehemaligen Patienten, die Jan Conradi und ich für das Buch gesammelt haben, zeugen von dieser Tradition. Es sind Geschichten individueller, wichtiger Erfahrungen, welche die Betroffenen in der Klinik gemacht haben.

Ein Patient fühlt sich zur Klinik so eng verbunden, dass er von einer «Heimat auf Zeit» spricht.
Die Klinik hat nicht den Anspruch, eine «Heimat» zu sein. Sondern die Patienten zu stabilisieren, damit sie so rasch wie möglich wieder in ihren Alltag zurückkehren können. Es ist aber ein Ort, an dem man über Ängste und Tabus reden kann. Man hört den Patienten zu, ohne dass sie sich für ihre Erkrankung schämen müssen. Viele Patienten fühlen sich hier sicher, das verbindet sie emotional mit der Klinik.

Die Autoren reden offen über ihre Therapie. Ist man nicht mehr stigmatisiert, wenn man im Burghölzli war?
Die Stigmatisierung hat sich etwas gemildert. Vor allem über Depression redet man heute offener als früher. Aber es ist weiterhin schwierig, zuzugeben, dass man in einer psychiatrischen Behandlung ist. Der Abbau von Vorurteilen, die doch sehr häufig sind, bleibt eine grosse Herausforderung.

Früher waren die Fenster vergittert, heute sind sie mit einem Glas abgedeckt. Ist man in der PUK gefangen?
Niemand wird in der PUK eingesperrt. Die Klinik hat sich sehr geöffnet. Bereits in den 70er-Jahren wurden die Mauern abgerissen, die sie umgaben. Heute werden die meisten Stationen offen geführt. Doch es gibt Sicherheitsaspekte, die zu beachten sind. Vor allem bei akuter Suizidalität muss man die Patienten vor sich selbst schützen. Manchmal schränken die Massnahmen die Autonomie ein, das ist ein ernst zu nehmendes Dilemma in der Psychiatrie. Doch viele Patienten sind im Nachhinein dafür dankbar. Sehr wichtig ist, darüber zu reden, wenn es dem Patienten wieder besser geht. Denn abhängig zu sein, kann Scham erzeugen.

Ein Patient erinnert sich fast zärtlich an die Spaziergänge mit seiner Pflegerin. Kommen während der Behandlung auch Gefühle für die Bezugspersonen hoch?
Emotionale Nähe ist das Fundament einer therapeutischen Beziehung. Da können auch positive oder negative Gefühle aufkommen. Es ist wichtig, sorgfältig damit umzugehen und dem Patienten die Sicherheit zu vermitteln, dass seine Gefühle ernst genommen werden. Therapeuten und Pflegende müssen dabei auch klare Grenzen zwischen Professionellem und Privatem ziehen. Und sie dürfen die Bindung auf keinen Fall ausnützen.

Der Park hinter dem bewaldeten Hügel ist eine richtige Oase. Wieso sieht man so wenige Patienten spazieren?
Auf dem Gelände ist doch recht viel los. Die Patienten helfen bei der Pflege des Rebbergs und in der Gärtnerei. Im Park finden auch Aktivitäten wie Nordic Walking und Fussball statt. Der Garten – denken Sie nur an die vielen Sorten von Obstbäumen, die es nur hier noch gibt – ist eine Idylle, die dem Klischee der Klinik als Ort des Leidens widerspricht. Es ist ein schöner Ort, der den Patienten Freude bereitet.

Jeder kann das Areal betreten. Kommen auch Ausflügler?
Ja, früher war der Pavillon am Burghölzli ein beliebtes Ausflugsziel, um  spazieren zu gehen und Kaffee trinken. Heute gibt es einen Spazierweg am Burghölzlihügel, der der Öffentlichkeit zur Verfügung steht und auch rege benutzt wird.

Wieso wurde das Burghölzli an den Stadtrand gebaut?
Die Lage entsprach im 19. Jahrhundert dem Trend. Psychiatrische Patienten wurden in der Regel auf dem Land untergebracht. Einerseits, weil man dachte, dass die Ruhe heilsam sei, andererseits, weil so die Bevölkerung nicht unmittelbar mit ihnen in Kontakt kam. Heute liegt der Fokus auf Reintegration in die Gesellschaft.

Im Buch erzählt ein Patient von zerzausten Gestalten, die in Trainerhose durch die Gänge schlurfen. Vernachlässigen sich die Patienten?
Es gibt Erkrankte, die unter solcher Antriebslosigkeit  und innerer Zerrissenheit leiden, dass sie nicht in der Lage sind, sich zu waschen oder Kleidung auszusuchen. Das trifft aber nur auf Einzelne zu. Im Zug der Genesung sieht man auch im Erscheinungsbild eine Verbesserung.

Raucht man in der PUK viel?
Viele Patienten rauchen, weil sie damit die Spannung lindern wollen. Rauchen ist aber nur an vorgesehenen Orten erlaubt.

Der Tag in der PUK ist voll. Die Patienten stehen um 7.30 Uhr auf und gehen dann in die Bewegungs-, Arbeits- und Ergotherapie. Wieso ist Beschäftigung wichtig?
Fixe Abläufe geben den Patienten Halt. Die Therapien basieren auf der Erkenntnis, dass Handeln und zeitliche Strukturen heilsam sind. Viele Erkrankte spüren sich nicht mehr und sind blockiert. Wenn sie eine Zeichnung malen oder einen Kuchen backen, produzieren sie etwas Fassbares. Das bringt sie zurück zu sich selbst. Die Arbeitstherapie hat zudem das konkrete Ziel der Wiedereingliederung der Patienten in die Arbeitswelt. In ihrem Weg zurück in den Alltag werden sowohl Angehörige als auch immer häufiger Vorgesetzte einbezogen.

In der Klinik sind Patienten umsorgt, beim Austritt sind sie wieder auf sich alleine gestellt. Wie bewältigen sie das?
Der Austritt ist der schwierigste Zeitpunkt einer Behandlung und sollte nicht unterschätzt werden. Die Patienten sind mit vielen neuen, herausfordernden Situationen konfrontiert. Um den Übergang zu vereinfachen, bietet die PUK teilstationäre Aufenthalte an. Die Patienten haben so tagsüber den Halt der Klinik, schlafen aber zu Hause, wo sie sich an den Alltag gewöhnen. Die umsichtige Austrittsplanung stellt eine wichtige therapeutische Aufgabe dar.

Hand aufs Herz, isst man in der PUK gut?
«Die Liebe geht durch den Magen»:  Dies ist auch ein Anliegen der – oft sehr gelobten – Küche in der PUK. Mir hat es stets sehr gut geschmeckt.

Gut zu wissen:

Die Psychiatrische Universitätsklinik wurde 1870 unter dem Namen «Burghölzli» gegründet. Heute bietet die Klinik 560 Betten für psychisch Kranke an. Ein durchschnittlicher Aufenthalt dauert rund 26 Tagen. Die Patienten sind im Schnitt 40 Jahre alt.

Heinz Böker (geb. 1950 in Hannover) war seit  1996 als Psychiater in der PUK tätig, bis Ende 2015 als Chefarzt des Zentrums für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie.

«Burghölzli – Geschichten und Bilder», Heinz Böker / Jan Conradi, Limmat-Verlag, 2016, 284 Seiten, 42.50 Franken. Mit 20 Beiträgen über die Klinik, unter anderem von Rolf Lyssy, Manfred Bleuler und Daniel Hell.

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