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Interview

Was woll Justitia von der Gerechtigkeitsinitiative hält? Bild: Pixabay

Gerechte Entlastung oder Steuersenkung für Gutverdiener?

Von: Sacha Beuth

25. Oktober 2022

URNENGANG Mit der kantonalen Volksinitiative «Gerechtigkeit schaffen – Krankenkassen-Prämienabzug der Realität anpassen» will die SVP des Kantons Zürich die Haushalte entlasten. Die Linke ist wegen der zu erwartenden Steuerausfälle ­dagegen. Im Vorfeld des Urnengangs vom 27. November hat das «Tagblatt» Alfred Heer (61), Unternehmer und Nationalrat der SVP, und Harry Brandenberger (51), Unternehmer und SP-Kantonsrat, zu einem Rededuell geladen. 

Schon seit Jahrzehnten machen der Schweizer Bevölkerung die immer weiter steigenden Krankenkassenprämien zu schaffen. Warum folgt erst jetzt eine Initiative, die die Belastung mildern soll beziehungsweise warum hat Ihre jeweilige Partei nicht schon längst eine Entlastungs-Vorlage ins Rollen gebracht?

Alfred Heer: Wir hatten bereits auf Bundesebene und im Kantonsrat dahingehende Vorstösse gemacht, sind damit aber in den jeweiligen Räten nicht durchgekommen. Darum haben wir im Kanton Zürich die Volksinitiative «Gerechtigkeit schaffen – Krankenkassen-Prämienabzug der Realität anpassen» eingereicht. Die Krankenkassenprämien sind seit Einführung des Obligatoriums in den 90er Jahren um den Faktor 2,6 gestiegen, die Löhne in der gleichen Zeit nur um den Faktor 1,5. Die allgemeine finanzielle Belastung wird – Stichwort Energiekrise – für die Steuerzahler immer grösser, so dass es möglichst schnell eine Korrektur braucht.
Harry Brandenberger: Die SP war ebenfalls nicht untätig in dieser Beziehung. Nur haben wir den Hebel auf einer anderen Ebene angesetzt. Wir haben auf Stufe Bund die sogenannte 10-Prozent-Initiative am Laufen, die besagt, dass Krankenkassenprämien maximal zehn Prozent des Einkommens betragen dürfen.

In mehreren Kantonen ist der Maximalabzug schon länger höher als gegenwärtig im Kanton Zürich. So beträgt er für Ehepaare in Schaffhausen 7500 und im Thurgau 7000 Franken. Warum soll das bei uns nicht auch funktionieren?

Brandenberger: Es ist richtig, dass in den umliegenden Kantonen der Abzug jeweils höher ist. Die Frage ist, ob dies der richtige Weg ist. Besser wäre meiner Meinung nach statt eines Steuerabzugs eine Steuergutschrift. Dann könnten alle gleich davon profitieren. Nur steht das leider mit der gegenwärtigen Vorlage nicht zur Diskussion.
Heer: Wir sind im Vergleich zu den umliegenden Kantonen in Sachen Abzüge stark im Hintertreffen, zahlen aber die höchsten Krankenkassenprämien. Eine Korrektur ist dringend nötig. Natürlich kann man über andere Modelle reden und wenn Herr Brandenberger einen Pro-Kopf-Abzug vorschlägt, rennt er bei mir offene Türen ein. Doch jetzt haben wir einen konkreten Vorschlag unterbreitet und über den gilt es zu entscheiden.

Die Initiative soll vor allem den Mittelstand entlasten. Dieser Umstand wird von den Gegnern der Initiative allerdings bezweifelt. Zu Recht?

Heer: Zugegeben: Besser verdienende Personen werden mehr profitieren. Aber auch Personen aus dem Mittelstand mit einem Nettoeinkommen von 40 000 bis 200 000 Franken werden die Entlastung spüren. Gerade diejenigen mit mehreren Kindern und bei denen beide Elternteile berufstätig sind. Bei einer 4-köpfigen Familie mit einem Einkommen von 70 000 Franken würde die Abzugs-Anpassung beispielsweise eine Ersparnis von rund 310 Franken ausmachen. Bei einem Einkommen von 100 000 Franken wären es etwa 670 Franken. Arme Personen und Tieflohnempfänger werden durch Prämienverbilligungen mit jährlich 1100 Millionen Franken unterstützt, da ist eine Entlastung des Mittelstandes auch dringend nötig.
Brandenberger: Man muss hier differenzieren. Ich zitiere dazu die «NZZ», die schrieb, eine solche Vorlage sei nichts anderes als eine Umverteilung vom unteren zum oberen Mittelstand. Das lässt sich an den von Herrn Heer genannten Zahlen gut belegen. Es gibt also eine klare Diskrepanz bei der Ersparnis zwischen unterem und oberem Mittelstand.
Heer: Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass wegen unseres Steuersystems Personen mit höherem Einkommen auch in einer höheren Progressionsstufe sind. Sie zahlen also am Ende auch mehr Steuern. Demzufolge ist es nur logisch und richtig, wenn sie auch mehr von Abzügen profitieren.
Brandenberger: Dann müsste man die Initiative aber ehrlicherweise auch «Steuersenkungs-Initiative» und nicht «Gerechtigkeits-Initiative» nennen. Denn letztendlich geht es um eine Steuersenkung.

Wäre es nicht zielführender gewesen, einen Abzug auf die eigentliche Steuerrechnung zu gewähren? Da würden Personen mit tiefem und mittlerem Einkommen im Verhältnis deutlich mehr profitieren als jene mit hohem Einkommen.

Brandenberger: Hier sind dem Kanton gewisse Grenzen gesetzt, denn aufgrund des Steuerharmonisierungsgesetzes sind solche Mechanismen derzeit nicht möglich. Dazu müsste man erst auf Bundesebene aktiv werden. Darum möchten wir wie schon erwähnt mit der nationalen 10-Prozent-Initiative über Prämienverbilligung eine Entlastung erreichen.
Heer: Wobei dann allerdings der untere Mittelstand mehr profitieren würde, also eine Umverteilung vom oberen zum unteren Mittelstand stattfinden würde.

Bei einem Ja zur Volksinitiative würden Kanton und Gemeinden je rund 150 Mio. Franken pro Jahr weniger an Steuern einnehmen. Wie soll dieser Verlust ausgeglichen werden?

Heer: Der Kanton hat in den letzten Jahren Rekordüberschüsse verzeichnet. Da sind Mindereinnahmen von 150 Millionen Franken bei einem Budget von 15 Milliarden – also 1 Prozent – für den Kanton vernünftig und tragbar.
Brandenberger: Ich sehe das anders. Im Kantonsrat schreien normalerweise FDP und SVP immer Zeter und Mordio, wenn es um Mehrausgaben von nur 100 000 Franken geht. Jetzt sollen Mindereinnahmen von 150 Millionen einfach akzeptiert werden? Das ist ein grosser Betrag, vor allem angesichts der gewaltigen Herausforderungen, wie sie etwa durch massiv geringere Ausschüttung der Nationalbank an die Kantone und die Energiekrise entstehen. Die Frage, die sich insbesondere der untere Mittelstand hier stellen muss, ist: Will ich für 100 oder 200 Franken Steuerersparnis riskieren, dass dem Kanton Geld für Infrastruktur und Unterstützung fehlt?

Kantons- und Regierungsrat ist der Ausfall jedenfalls zu hoch, weshalb sie einen Gegenvorschlag ausgearbeitet haben, der bei Annahme der Initiative als Stichfrage zur Geltung kommt. Er sieht deutlich geringere Maximalbeträge für einen Abzug vor, weshalb die Steuerausfälle total nur rund 90 Millionen Franken betragen würden. Wäre das nicht die bessere Lösung?

Heer: Der Gegenvorschlag zeigt, dass auch Kantons- und Regierungsrat unsere Anliegen grundsätzlich für gerechtfertigt halten. Aus unserer Sicht ist der Gegenvorschlag aber halbbatzig. Es geht der Kantonsregierung wohl eher darum, unsere Initiative mit einem faulen Trick zu bodigen. Man gibt ein bisschen was, in der Hoffnung, dass dafür die Initiative abgelehnt wird.
Brandenberger: Finanzdirektor Ernst Stocker hat einen pragmatischen Gegenvorschlag formuliert. Uns käme dabei entgegen, dass Steuerausfälle nur rund ein Drittel so hoch wären wie bei der Initiative. Und dass es keinen Automatismus bei der Teuerungsanpassung der Prämien gibt. Denn dann würden Gutverdienende jedes Jahr immer mehr von den Abzügen profitieren. Generell bleiben wir bei unserer grundsätzlichen Ablehnung der Erhöhung von Abzügen.

In zwei, drei Sätzen. Warum muss die Vorlage angenommen beziehungsweise abgelehnt werden und was soll bei der Stichfrage zur Geltung kommen?

Brandenberger: Die Initiative wie auch der Gegenvorschlag müssen abgelehnt werden, weil sie eine ungerechte Verteilung der Steuern mit sich bringen. Die Reichen profitieren gegenüber dem unteren Mittelstand überproportional.
Heer: Trotz massiv gestiegener Krankenkassenprämien wurden die Abzüge im Kanton Zürich seit 2011 nicht angepasst. Das wollen wir mit dieser Initiative ändern, damit wir auch im Vergleich zu den Nachbarkantonen gleich lange Spiesse haben. Um die Gerechtigkeit wieder herzustellen, braucht es zweimal ein Ja und in der Stichfrage das Kreuzchen bei der Initiative.

Die «Gerechtigkeitsinitiative» in Kürze

Ausgangslage:
Seit der Einführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Jahr 1996 haben sich die Krankenkassenprämien mehr als verdoppelt. Demgegenüber ist der Steuerabzug für die Prämien weitgehend unverändert geblieben. Für einen Grossteil der Bevölkerung sind die effektiven Auslagen für die Prämien jedoch wesentlich höher als der maximale Steuerabzug. Dies hat zur Folge, dass insbesondere beim Mittelstand das verfügbare Einkommen laufend sinkt, weil der Lohn nicht in gleichem Umfang ansteigt. Die SVP des Kantons Zürich will hier einen Ausgleich schaffen und hat darum die Volksinitiative «Gerechtigkeit schaffen – Steuerabzug der Krankenkassenprämien an Realität anpassen», kurz «Gerechtigkeitsinitiative», lanciert. Die Initiative wurde am 20. Dezember 2019 im Kantonsrat eingereicht. Dieser lehnte sie am 16. Mai 2022 ab und beschloss gleichzeitig einen Gegenvorschlag. Die SVP hielt aber an ihrer Version fest, weshalb am 27. November über Initiative und Gegenvorschlag abgestimmt wird.

Vorlage und Gegenvorschlag zusammengefasst:
Die «Gerechtigkeitsinitiative» verlangt eine Erhöhung des Abzugs für Versicherungsprämien und Zinsen von Sparkapitalien. Pro erwachsene Person soll der Abzug von 2600 Franken auf 3600 Franken und pro Kind oder unterstützungsbedürftige Person von 1300 Franken auf 1500 Franken erhöht werden. Weiter sollen die Abzüge künftig nicht mehr wie alle anderen allgemeinen Steuerabzüge nach dem Landesindex der Konsumentenpreise, sondern nach der Entwicklung der Durchschnittsprämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung an die Teuerung angepasst werden. Weil durch die Initiative jährliche Ausfälle von je rund 150 Mio. Franken bei den Einkommenssteuern des Kantons und der Gemeinden entstehen würden, lehnt eine Mehrheit des Kantons- und Regierungsrats die Vorlage ab. Stattdessen hat der Kantonsrat einen Gegenvorschlag ausgearbeitet. Er sieht eine Erhöhung des Versicherungsprämienabzugs für in ungetrennter Ehe lebende Steuerpflichtige (Paarabzug) von 5200 Franken auf 5800 Franken und für Alleinstehende von 2600 Franken auf 2900 Franken vor. Der Abzug für Kinder bliebe dagegen unverändert. Zudem soll der Abzug für Versicherungsprämien und Zinsen von Sparkapitalien weiterhin nach dem Landesindex der Konsumentenpreise an die Teuerung angepasst werden. Die jährlichen Steuerausfälle würden auf diese Weise bei Kanton und Gemeinden nur je rund 45 Mio. Franken betragen.

Das sagen die Befürworter:
Laut Initiativkomitee / SVP genügt der Gegenvorschlag des Kantonsrats nicht für eine spürbare Entlastung. Die SVP empfiehlt darum – neben zweimal Ja – bei der Stichfrage die Initiative zu bevorzugen.

Das sagen die Gegner:
Für die Gegner sind die steuerlichen Ausfälle zu hoch. Zudem würden Personen mit höherem Einkommen mehr profitieren als jene mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Von den grossen Parteien lehnen FDP und Mitte die Initiative ab, empfehlen jedoch den Gegenvorschlag zur Annahme. SP und Grüne möchten ein doppeltes Nein, während die GLP noch keine Parole ausgegeben hat. 

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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